Geschichte & Struktur

Chiba Shûsaku NarimasaDie Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō (北辰一刀流兵法) ist eine traditionell japanische Fechtschule (Koryū), welche in den 1820er Jahren, am Ende der Edo-Periode (1603–1868) in Edo (heutiges Tōkyō) von dem Samurai Chiba Shūsaku Narimasa gegründet wurde. Er galt als der letzte Kensei (Schwertheiliger) der japanischen Geschichte.

Aus dem Namen der Schule lassen sich auf ihre Wurzeln schließen: Zum einen findet sich dort die Hokushin Musō-Ryū wieder, in welcher Chiba Shūsaku von seim Vater Chiba Chūzaemon Naritane und seinem Großvater Chiba Kōemon Narikatsu, dem Gründer der Hokushin Musō-Ryū, unterwiesen wurde. Der zweite Bestandteil des Namens ist die Ittō-Ryū, ein sehr bekannter Stil, der auf Itō Ittōsai Kagehisa (1560–1653?) zurückgeht und von dem zahlreiche Ableger entstanden sind. Diese studierte Chiba Shūsaku später (genauer gesagt die Nakanishi-ha Ittō-Ryū) und vereinte die Lehren der beiden Schulen in der Hokushin Ittō-Ryū.

Als ungewöhnlich kann man es ansehen, daß die Hokushin Ittō-Ryū noch unter der Führung ihres Kaiso (Gründer) zu einer der drei größten und berühmtesten Schulen der Bakumatsu-Periode (1853–1867) wurde. Dies spricht zum einen für den enormen Bekannheitsgrad und den guten Ruf den Chiba Shūsaku innehatte, als auch für die einfache Lehrmethodik der Hokushin Ittō-Ryū. Neben der Hokushin Ittō-Ryū zählen die Shintō Munen-Ryū und die Kyōshin Meichi-Ryū zu den drei bekanntesten und größten Stilen (San-Dai-Ryū) der Bakumatsu-Zeit.

Da das Training mit dem Shinai (Übungsschwert aus Bambus) und einem Vorläufer der heutigen modernen Bōgu (Schutzausrüstung) zum Curriculum der Hokushin Ittō-Ryū gehört, ist es nicht verwunderlich, daß sie zusammen mit diversen anderen Schulen, großen Einfluß auf die technische Gestaltung des modernen Kendō im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte.

Heutzutage wird die Schule durch den 7. Sōke Ōtsuka Ryūnosuke Masatomo in München weitergeführt.

Das Curriculum der Schule enthält schwerpunktmäßig die folgenden Techniken:

  • Kenjutsu (Schwertkampfkunst)
    Unterrichtet wird der Umgang mit dem Katana (auch Tachi genannt – Langschwert) und dem Wakizashi (auch Kodachi genannt – Kurzschwert).
  • Battōjutsu (Kunst des Schwertziehens)
    Hier werden Kampftechniken gelehrt, die es dem Schwertkämpfer erlauben, das Schwert zu ziehen und in der selben Aktion einen Angriff oder auch eine Verteidigung gegen einen solchen Angriff auszuführen.
  • Naginatajutsu (Kampftechniken mit Stangenwaffen)
    Hauptsächlich wird die Naginata (eine japanische Stangenwaffe, ähnlich der europäischen Glefe) verwendet, aber auch der Umgang mit dem Speer bzw. Spieß (jap. Yari) wird unterrichtet (Sōjutsu).
  • Jūjutsu (waffenlose Kampftechniken)
    Beispielsweise Wurf-, Schlag-, Tritt- und Hebeltechniken. Diese können sowohl der Selbstverteidigung dienen, als auch im Schwertkampf Anwedung finden, wenn die Kontrahenten sich sehr nahe kommen.

Allen Kampftechniken ist gemein, daß sie sich durch ihre Schlichtheit und das Wegfallen überflüssiger Bewegungen auszeichnen. Wichtigste Übungsmethode ist das sogenannt Katageiko (Formentraining), bei dem festgelegte Bewegungsabläufe aus Angriffs- und Verteidigungstechniken mit Partner und Holzschwert (Bokutō), oder auch ohne Partner und mit echtem Schwert (Shinken) geübt werden. Später, auf fortgeschrittenem Niveau, findet dann zunehmend Unterweisung in Strategie und Taktik statt und die Schüler können ihre Fertigkeiten im Gekiken (Vollkontakt- und Freikampfübungen, zunächst mit Bambusschwert und Schutzausrüstung) prüfen und perfektionieren.

Zusätzlich zu den oben beschriebenen sogenannten Bujutsu (Kampfkünste/-techniken), werden noch weitere Punkte vermittelt. Dazu gehören zum Beispiel die Kihon, das sind Grundlagen wie: Übungen zur korrekten Fuß- und Körperbewegung, Schwerthaltung, Suburi (Schwertschwünge), die Pflege der Ausrüstung, sowie korrektes Anlegen der traditionellen japanischen Kleidung (sei es die Trainingskleidung – der Keikogi, oder auch formelle Kimono) etc.
Ebenso wichtig sind das Reihō (traditionelle japanische Etikette), sowie die Tetsugaku (Philosophie) der Hokushin Ittō-Ryū, basierend auf den Lehren des Konfuzianismus und dem Synkretismus aus Shintō und Buddhismus. Das Ziel ist es den Schüler zum vollkommen Krieger in Geisteshaltung, Taten und Fähigkeiten zu Formen.

Die Hokushin Ittō-Ryū ist gegliedert in die drei Stufen Shoden 初伝 (Anfang der Überlieferung / Anfänger), Chūden 中伝 (Mitte der Überlieferung / Fortgeschrittene), Okuden 奥伝 (Ende der Überlieferung / Meister).
Es gibt nicht wie in modernen Kampfkünsten wie Iaidō, Kendō, Jūdō etc. Dan- oder Kyu-Grade, sondern es werden traditionell Makimono (Schriftrollen) und Inkajō/Menjō (Urkunden) vergeben.
Die fünf traditionellen Schriftrollen der Hokushin Ittō-Ryū sind:

1. Kirigami 剪紙
2. Hatsumokuroku 初目録
3. Kajōmokuroku / Seigandenju 箇条目録 / 星眼伝授
4. Chūmokuroku / Menkyo 中目録 / 免許 (Meisterung aller Techniken)
5. Daimokuroku / Menkyo-Kaiden 大目録 / 免許皆伝 (Vollständige Überlieferung des Stils)